Dienstag, 8. September 2015

Sowas also

Warum es um uns so still war.

Eine Bekannte, die nach der bezahlten Arbeit jeden Tag noch zwei bis drei Arbeitstage zuhause einlegt, sagte entrüstet: ”Aber mit Freizeitaktivitäten kann man sich doch nicht in die Erschöpfung treiben!”. Dann fing sie selbst an zu lachen; laut gesagt klang das doch eher seltsam.

Kurz darauf hab ich aufm Arbeitsweg kurz in der Kaufhalle angehalten. Meine nächste Erinnerung ist an nen Sanitäter, der fragt, ob ich früher schon mal epileptische Anfälle gehabt hätte. Das war letztes Jahr im August, kurz nachdem ich nach der Elternzeit wieder angefangen habe zu arbeiten. Im Krankenhaus musste ich 6 Stunden liegen. Die Zwangspause war's wohl, durch die ich das erste Mal richtig gemerkt habe, dass ich todmüde bin. Trotzdem hat's noch ein paar Monate gedauert, bis ich wirklich verstanden habe, dass ich komplett erschöpft, ausgebrannt bin. Mir war ständig schwindlig und ich hatte das Gefühl, im Nebel zu laufen. Schlafen konnt ich nicht mehr und sitzen war ne Quälerei, weil mein Gehirn ständig Amok zu laufen schien. Das Ganze kam nicht von der Arbeit, sondern von zu vielen Dingen, die in zu kurzer Zeit passiert waren. Ich habe gemerkt, dass ich selber genauso dachte, wie meine Bekannte. Ich hab mich geschämt, für schwach und unbelastbar gehalten. Im Nachhinein war's auch leicht, die Nesselsucht und das Gefühl, dass alles zu viel ist, als Warnzeichen zu erkennen – und mir Vorwürfe zu machen, das ich die nicht als solche verstanden habe.

Irgendwann hab ich nen Test gemacht, der anhand der Ereignisse der vergangenen 2 Jahre Stresspunkte berechnet. Laut Test ist bei 300 Punkten die Belastbarkeit doch arg geschwächt und man sollte unbedingt die Bremse ziehen. Ich hatte ca. 670 Punkte. Da fing's an mir zu dämmern, dass ich vielleicht doch nicht so schwach und unbelastbar bin.

Man sagt, dass man genauso viel Zeit braucht, sich von ner ordentlichen Erschöpfung zu erholen, wie es brauchte, die zu entwickeln. Geduld war noch nie meine stärkste Seite; obwohl ich wusste, dass die Erholung Zeit braucht, ging mir das alles viel zu langsam. Damit hab ich mir selbst einige Beine gestellt. Ich fand es schrecklich, dass ich nicht so für den kleinen Mann dasein konnte, wie ich das gerne gewollt hätte. Nicht ohne Begleitung mit ihm rausgehen oder auch nur allein mit ihm zuhause sein konnte – die Gefahr eines neuen Anfalls war zu gross. Schlimm war auch, dass ich die Bewegung enorm einschränken musste. Zum Fahrrad fahrn oder einfach nur mit dem Hund zügig laufen hatte ich keine Reserven mehr - obwohl ich körperlich gut in Form war. Ausruhen war das Allerwichtigste - und das Allerschwerste.

Ich fing an, viel über Stress zu lesen und vielleicht zum ersten Mal wirklich zu verstehen, wie umfassend und zerstörerisch chronischer Stress sich auswirkt. Als Familie mussten wir unsere Prioritäten sehr konkret überlegen - eine zeitlang jeden Tag aufs Neue. Mann erwies sich wieder als absoluter Goldschatz. Er übernahm die Hauptverantwortung für ziemlich alles - Kindes Nachtschlaf und Kindergartenwege, die Hunde, den Haushalt. Letzten Herbst haben wir nichts anderes gemacht, als das, was unbedingt nötig war. Ohne meine Brüder und andere Freunde, die immer wieder mit Rat und Tat geholfen haben, wären wir nicht klargekommen.

Unser Leben hat sich in dem Jahr auch nicht wirklich beruhigt. Die ganze Zeit sind auf Arbeit und daheim grössere und kleinere Dinge passiert, die meine Stressbewältigungsstrategien immer wieder neu auf die Probe stellten. Ich habe mich unzählige Male bewusst entscheiden müssen, mich nicht daran aufzuhängen, wie viel passiert, wie ungerecht das ist usw. Mich statt dessen auf das zu konzentrieren, was mir am wichtigsten ist: der kleine und der grosse Mann, meine Gesundheit, Brüder und andere Freunde, die Hunde.

Es ist eine ziemliche Berg- und Talbahn gewesen, aber die grobe Richtung scheint doch aufwärts zu sein. Inzwischen schaffe ich wieder mehr, wenn ich auch noch jeden Tag überlegen muss, ob meine Pläne realistisch sind. Beide Arbeitswege mit dem Fahrrad fahren und danach noch stöckeln gehn, wie ich das früher gemacht habe, ist noch utopisch - aber es wird. Ohne Entspannungs- und Mindfulnessübungen reicht meine Kraft noch nicht, durch den ganzen Tag zu kommen. Trotzdem muss ich mich immer zwingen, die zu machen. In solchen Dingen ist unser Gehirn echt schlecht programmiert. :)

Es hilft, dass ich täglich mit Patienten über ähnliche Probleme rede. Ich merke, dass die eigene Erfahrung mir hilft, Patienten besser zu verstehen und ihnen zu helfen, ihre Situation besser zu verstehen. Gleichzeitig erinnere ich mich ständig selber daran, dass gute Stressbewältigung ein Gleichgewicht aus Ruhe, Bewegung, Routine und Lieblingsbeschäftigungen ist - eins allein reicht nicht.

Alles in allem also eine Erfahrung, ohne die ich gut hätte leben können, von der ich aber unheimlich viel gelernt habe. Jetzt heisst's nur, das alles auch in Zukunft weiter umzusetzen. Wir werden sehen...

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